richt,
Wenn der Abend uns befreit...

Sie werden heute ein Stьck ьber Juden hцren. Lemberg, 1911. Elias Hohlberg,
ein jьdisches Kind, verliebt sich in den Klang eines archaischen
Leierkastens und provoziert damit das so sehr traditionell gesinnte Gemьt
der Lemberger Juden. Diese verachten Elias’ „Ausbrechen aus den
althergebrachten musikalischen Wurzeln“ des jьdischen Viertels und legen ihm
nahe, die „wehmьtige Geige“ und damit ein typisch jьdisches Instrument zu
spielen. Wдhrend sich Elias in „maroden Hirngespinsten“ verliert und ein so
sehr weltentrьcktes Leben als Leierkastenmann herbeisehnt, zeigt sich vor
allem seine rьhrige Mutter Anna bemьht, ihm diese „koketten Ideen ьber ein
altruistisches Humoristenleben“ wieder auszureden. Hцren Sie nun die
musikalische Festschreibung einer sonderbaren Bubenflause, ein selten
„nachhaltiges“ Gesprдch zwischen Mutter und Sohn und (damit gleichzusetzen)
die lyrische BloЯlegung der naiv-idealistischen Gedankenwelt eines 8-jдhrigen Judenkindes.


2. Mein Jahr In Lemberg, 1911

[ELIAS HOHLBERG]

Mutter! Mutter? Bin ich denn ein Kind von hier?
Ein Strolch bin ich, der dreht an seiner Leier.
Ein Judenbub, besessen gar von Seltsamkeit und Posse.
Hцr an mein Leid, es quдlt mich bitter...

[ELIAS HOHLBERG, 17. MДRZ 1911]

Ich schlief und erbat,
Dass die Welt mich versteht,
Dass ein jьdischer Traum
Keine Sьnde gesteht.
Ich sann nach dem Spiel
Mit dem Kasten, mein Freund.
Ich drehte die Leier
Mit Herz und mit Leid!

[CHOR]

Spielt auf, ihr Kinder der Lemberger Zeit,
MeiЯelt den Klang, der die Juden befreit.
Spielt auf fьr die Zeit, die mein Leben begann!
Stimmt das Leben an!

[ELIAS HOHLBERG]

Ich trotzte das Leid mit klдglichem Klang,
Nachts zogen schier Bцgen die Geigen entlang.
Wir kratzten an Bьnden, die sonst niemand fand,
Wir machten Musik fьr das jьdische Land.

[CHOR]

Spielt auf, ihr Kinder der Lemberger Zeit,
MeiЯelt den Klang, der die Juden befreit.
Spielt auf fьr die Zeit, die mein Leben begann!
Stimmt das Leben an!

[ANNA HOHLBERG (ZU REINUN PERLMANNS GEIGENSPIEL)]

Hцrst du die Geige,
Er spielt sie so weich...
Sein Spiel ist famos
...Und jьdisch zugleich.
Hцrst du, Elias,
Du spielst doch noch kaum,
Hat dich der Kasten besiegt?

[ELIAS’ BEKENNTNIS]

Nein, ich spiele den Kasten mit Mut...
Was soll ich denn spielen?
Musik fьr die Ruh?

[ERZДHLER]

Das ist die Geschichte einer mutigen Tat;
Sie war eines Tages Elias’ Verrat.

[ELIAS]

Nein, Mutter, nein,
Ich spiel’ fьr mein Herz,
Mein Leben als Jude,
Es kostet mich Schmerz...
Musik ist mein Glьck...
Und das ist, das ist mein!

[ELIAS, REZITATION]

Stцrt dich die Trauer, der elende Ton,
Die Schцpfung der Geigen, das Kratzen,
Mein Sohn?

[ERZДHLER]

Elias war mutig, denn es klopfte sein Traum,
Als wollt’ er besessen in sein Inneres schauen.

[ELIAS]

Nein, Mutter, nein,
Ich dreh’ doch den Kasten,
Wem stцrt dieser Klang?
Was kratzt schon ein Bogen
Die Geige entlang?

Was kratzt mich dieser Ton?

[ANNA HOHLBERG]

Elias, dein Traum ist reich,
So mutig, doch klein...
Denn du trдumst,
Denn du lebst zum Schein!

[ANNA HOHLBERG, MARKUS HOHLBERG]

Elias, wach auf, du lebst einen Traum!

[ELIAS]

Das ist mein Traum von Tцnen und Klдngen
Der fidelen Art... Das ist mehr als ein Traum!

[ERZДHLER]

Sie hцren eine Geschichte,
Die das Leben bezwang.
Sie glich einer Rьge
Fьr den jьdischen Mann!

[ANNA HOHLBERG]

Wach auf, ehe du schlдfst,
Denn dein Traum ist voll Neid.
Wach auf, ehe du weiЯt,
Dass ein Traumbild dich teilt!

[ELIAS]

Was stцrt euch am Trдumen?
Was soll mir der Kasten...
Am Leben versдumen?
Was nimmt’s denn an Zeit?

[ELIAS’ MUTTER]

Wach auf, ehe du schlдfst,
Denn dein Traum ist voll Leid
Wach auf, ehe du glaubst,
Dass dein Kasten dich braucht!

[ELIAS]

Was stцrt euch am Trдumen?
Was soll mir der Kasten...
Am Leben versдumen?
Wie bringt er mir Leid?

[ELIAS’ MUTTER]

Wach auf, ehe du schlдfst,
Denn dein Traum ist voll Neid.
Wach auf, ehe du weiЯt,
Dass ein Traumbild dich teilt!

[ELIAS]

Was stцrt euch am Trдumen?
Was soll mir der Kasten...
Am Leben versдumen?
Wie bringt er mir Leid?

Gemeinsam mit seinen Freunden Mehmet, Reinun und Ithzak grьndet Elias den
„Bund der Schlдfer und Musikanten“. Dieser versammelt die vier Buben
nдchtlich, wдhrend im mьden Lemberg alle Bьrger ihre Trдume schmieden, in
der Holzwerkstatt des Schnitzerbuben Mehmet Seedorf, um dort der Komik des
Lebens Tribut zu zollen. Hцren Sie eine Moritat ьber den Schreinerbuben
Mehmet Seedorf, der willentlich stumpfen Holzklцtzen Leben einhaucht, mit
seinen Marionetten spricht und gemeinsam mit Elias, Reinun und Itzhak das
jьdische Viertel Lembergs zu einer renitenten und frohgemuten „Zirkusstadt“ erhebt.


3. Mehmet Und Die Zirkusstradt

[ERZДHLER]

Der Mehmet war von SьЯe,
Er lebte den Humor...

[JOHANNES ZETTERBERG]

Der Mehmet war von SьЯe,
Er lebte den Humor,
Ertrдumte sich die Zirkusstadt
Und hobelte die Puppen glatt.

[JUDENKINDER]

Marionetten ward geboren,
Von Mehmet auserkoren...
Und betet nicht, und flehet nicht...
Doch hьpft und tanzt und singt.

[ERZДHLER]

Er war ein Jude von der StraЯe,
Und er liebte die Moral,
Er gab den Klцtzen Leben...
Und lachte gar fьr sie.

Der Mehmet war von Gьte,
Er lebte den Humor,
Ertrдumte sich die Puppenstadt
Und hoffte, dass er Gutes tat...

[JOHANNES ZETTERBERG]

Die Puppen waren sein Leben,
Der Zirkus eine Farce,
Das Zelt ein mьdes Transparent,
Doch Leben?
Welch Leben war’s?

[JUDENKINDER]

Marionetten ward geboren,
Von Mehmet auserkoren...
Und betet nicht, und flehet nicht...
Doch hьpft und tanzt und singt.

Marionetten ward geboren,
Von Mehmet auserkoren...
Und betet nicht, und flehet nicht...
Doch hьpft und tanzt und singt.
So hьpft, tanzt... und singt.

Im Jahre 1917 wird in Mehmets Zirkuswerkstatt eine von Elias geschaffene
Zinnsoldatenarmee ins Leben gerufen. Der kьhne Zinnsoldat Jonas soll das von
den Buben geliebte Lemberg in kriegerischer Zeit vor geistlosen Soldaten
beschьtzen. Hцren Sie eine von Kindern geborene, eine von Witz und Verstand
getragene Moritat ьber den Zinnsoldaten Jonas, der ohne Furcht und Tadel
gegen blamable Helden besteht.


4. Zinnsoldaten Und Kanonen, 1917

[ELIAS HOHLBERG]

Ein Zinnsoldat mit Schild und Helm
War kьhn wie ein Pirat...

[SCHLACHT UM LEMBERG]

Er glich dem Krieger Drosselbart
Mit seinem SchieЯgewehr.
Er klopfte auf den Knochen hart
Und war ein feiner Herr.

[JUDENKINDER]

Er stand den Manne kьhn und trunken,
(ach) bohrte Lanzen durch Halunken,
Er stob mit Schwertern und Kanonen,
Als wollt’ er seine Juden lohnen.

[HOHN UND SPOTT]

Du, mein Zwerg, willst Krieger sein,
Am Schlachtfeld ganz allein?
Du torkelst, bleich, wie fett ein Schwein,
Und wirfst... mit einem Stein?

[SCHLACHT UM LEMBERG]

Er rьhrte von der Puppenstadt
Und schlauchte die Gefahr.
Er tat was eine Puppe tat
Und kдmpfte ohne Schar.

[JUDENKINDER]

Er stand den Manne kьhn und trunken,
(ach) bohrte Lanzen durch Halunken,
Er stob mit Schwertern und Kanonen,
Als wollt’ er seine Juden lohnen.

[JUDENKINDER]

Das Spiel war fein, „Soldatensein!“
Gen Schuft und Schurke ganz allein!

[ELIAS HOHLBERG]

Er schlich bedacht in den leeren Schacht
Und spдhte auf die Schurken.
Er hob die Lanze hoch in Acht
Und pfдhlte sie wie Gurken.

[„FEIGER“ KRIEGER]

Du kleiner Zinnsoldat,
Du wagst eine freche Lippe;
Dein Mut ist... ha! (Gelдchter!)
Eine Schmach
Fьr meine Ritter!

[JUDENKINDER]

Er zog in Bann
Wie ein Edelmann,
Er war unser Puppenritter.

Links, zwo, drei, vier!

Er stob als Mann
Wie nur er es kann
Durch ein Heer der Schnauzbartmannen!

Links, zwo, drei, vier!

Er tat in Acht,
Was man so nicht macht
Und hievte seine Banner.

[ELIAS HOHLBERG]

Du, mein Zwerg, wirst Sieger sein,
Am Schlachtfeld ganz allein?
Du tдnzelst, schlau, wie Licht zum Schein,
Und kдmpfst... mit einem Stein?

[SCHLACHT UM LEMBERG]

Er rьhrte von der Puppenstadt
Und schlauchte die Gefahr.
Er tat was eine Puppe tat
Und kдmpfte ohne Schar.

[JUDENKINDER]

Er stand den Manne kьhn und trunken,
(ach) bohrte Lanzen durch Halunken,
Er stob mit Schwertern und Kanonen,
Als wollt’ er seine Juden lohnen.

Im Jahre 1920 erleidet der „Bund der Musikanten“ eine дuЯerst schmerzliche
Erfahrung. In Lemberg erzдhlte man sich damals die Geschichte vom Krьppel
Spennocchi, der auf einem kleinen Gehцft auЯerhalb der Stadt beheimatet und
von schauerlicher Kreatur war. Im Zuge der Gepflogenheit, das
Spennocchi-Gehцft ob des dort hausenden Krьppels zu verachten, haben die
„Judenkinder“ ihre so human und mit Vernunft begrьndete Denkweise zur Seite
gelegt und in geistloser Gefolgschaft weltlicher Buben das so animalisch
anmutende „Monster“ mit Steinen und Дsten beworfen. Hцren Sie nun die
Vertonung einer einmalig grotesken Begegnung, bei der ein „engelhafter“
Krьppel einen gaukelnden Juden, und damit seinen einstigen Schinder, an den
Pranger stellt.


5. Anastasia Spennocchi, 1920

[ANASTASIA SPENNOCCHI]

Herbei, mein Schinder,
Von Komik verzдrteltes Ding.
Es harrt nun... der kьhle Moment,
Ein Quдntchen an Sьhne:
Der gaukelnde Jude betritt meine Bьhne.

Er tritt vor den Richter, der fidele Bube,
Beschaut meinen Buckel (Welch Stille? Welch Ruhe?)
Und sicher, gewiss, bin ich froh, ihn zu sehen.

[ELIAS HOHLBERG]

Sah ich’s, sah wie Schnee den Leib
Mit weiЯem Loden schnьrt,
Im Lehnstuhl wich ihr Geist
Dem eklatanten Schimmer...

Stьck fьr Stьck
Ihr Leid auf Erden war unfein gewiss,
Ihr Leben sprach gelinde... vom Wohnort,
Einem Stall...

[ELIAS HOHLBERG]

Mein Ekel vor dir
War dreist und befangen (befangen!)
Ich stand da am Hof
Und krдnkte dich bange (bange!)

Wir ьbten Gelдchter,
Beschmutzten dich leidig, (leidig!)
Wir droschen mit Freud
Dich Krьppel zum Feind!

[KRЬPPEL SPENNOCCHI]

Mutlos Gesindel, gereiztes Reptil,
Komm, mach mich zum Krьppel,
Der mьde und bang fleht:

„Stцrt dich mein abscheulich Blick,
Verfemt er wich dem Bild von Glanz...
Liebreiz und Anmut mieden mich ganz.

So blieb ich grдsslich fьr mein Leben,
Blieb Gebein, nicht der Rubin,
Der funkelt und glimmert wie Licht in beschien.

Tot ich glich der euren Geisel,
Hцllisch, war ich Krьppel schцn,
Mьd’ nur vom Zunder, dem qualvoll Gestцhn!“

[ANASTASIA SPENNOCCHI]

Ich nannte es Leben, weil ich Euch die Geisel war,
Hier bin ich Mensch aus dem Euren Land...
Mit frechen Gesichtern, mit Stock, Stein, in Schar
Ihr Juden aus Lemberg ward Qual meines Lebens
Bizarr...

[ENGELSCHOR]

Sie war dieser Engel, der lebendig war...
A-n-a-s-t-a-s-i-a

[ANASTASIA SPENNOCCHI]

Ich flieg nicht als Engel,
Doch war ich nicht Mensch,
Ich brauch keine Flьgel,
Bin endlich ich selbst.

Ein Engel ist bieder und selten benannt (so...)
nannt’ ich mich nur „den Krьppel“,
Der dich nicht verstand...
Ich mochte mein Leben,
Doch litt ich im Zwang,
Ganz blau war mein Buckel,
Von Schlдgen verkannt...

So blieb ich in Hoffnung,
Dass Schцnheit nun langt!
...Dann stand ich in Loden geschnьrt
...Und verdammt!

Stand... ja stand... in einem weiЯen Kleid...?
Geschlagen... zerhauen... gewalkt bis zur Pein...
...Belogen und betrogen... mit Stock und mit Stein...
...Mit Stock und mit Stein... mit Stock und mit Stein...

[ANASTASIA SPENNOCCHI]

Ich nannte es Leben, weil ich Euch die Geisel war,
Hier bin ich Mensch aus dem Euren Land...
Mit frechen Gesichtern, mit Stock, Stein, in Schar
Ihr Juden aus Lemberg ward Qual meines Lebens
bizarr...

[ELIAS HOHLBERG]

Vergib’ mir beim Leben im holden Gewand,
Ich war doch nur Bengel, der dich nicht verstand...
Verzeih’ meine Dummheit, sie hat mich besiegt,
Mein Leben hieЯ „Hoffnung fьr Juden im Krieg!“

[ANASTASIA SPENNOCCHI]

Ich fiel von dem Zweiglein des jьdischen Baums,
konnt’s lдnger nicht tragen das bucklige Ding...
Ist gut Bub, halt fest nun den unseren Stamm,
So spiel fьr die Juden im russischen Land...

[KRЬPPEL SPENNOCCHI]

Was schlugt ihr mich mit Дsten,
Was ward ihr bockig und gemein,
Prasst keck und dreist mit groЯen!?

[ELIAS HOHLBERG]

Wir Juden sind Menschen
Mit Herz und Verstand!
Ich liebe mein Leben,
Die Tugend, mein Land...

Auch ich schlug im Irrtum
Den eigenen Mann,
Doch seht bloЯ wie schцn
Auch ein Krьppel sein kann...

Schluchzend in ihrem Wankelmut und entsetzt ob ihrer Unverfrorenheit, einen
jьdischen Krьppel zu peinigen, verlassen die „Judenkinder“ ihre so sehr
geliebte Heimatstadt Lemberg und ziehen ihre Schlitten und Instrumente in
eine von ihnen idealisierte Welt. Im Zuge ihrer Reise durch das kalte
Russland komplettieren die 4 jьdischen Musikanten eine Bettlergilde im
schwermьtigen Smolensk der 20er Jahre. Der Standestrennung zwischen „arm“
und „reich“ begegnen die jьdischen Musiker mit Hochmut und Impertinenz, das
von Philistern in Kцrbchen der Lemberger Gaukler geworfene Hartgeld
investierten Elias, Mehmet, Reinun und Ithzak in sьndteure Karaffen des
besten Weines der Stadt, um ihn gemeinsam mit den Smolensker Bettlern an das
Leben zu vergeuden.


6. Der Wein Der Lumpensammler, 1923

[ELIAS HOHLBERG]

Hier ist die Rebe, Musikant,
Hier ist dein Wein.
Sьffle vom Philistertrank,
Die Pulle ist nun Dein.

Trдnke deine Sorgen, Weib,
Den Hader, die Pein.
Schenke den Philistertrank,
In deine Venen ein.
Wir spielen fьr die Judenstadt,
Das Leben, es ist fein...
Ein Hoch dem kleinen Bettelmann,
Fidel darf er sein!

[ELIAS HOHLBERG]

Der Wein ist eine Gabe,
Die den Reichen wohl gefдllt.
Doch heute, liebe Freunde,
Ist er Armen schon bestellt.

Der Durst ist eine Plage,
Die der „Kцnig“ nicht gern teilt.
Marod’ es tьncht die Traube,
Im Sonnenlicht, im Schrein.

Der Wein ist mein Gefдhrte,
Er ist reich und bunt und fein.
Er liegt in meinen Venen
Wie im Zarenhof der Stein.

[DIE LUMPENSAMMLER]

Wir wollen Lumpensammler sein,
Mit edlem Philisterwein.
Wir nennen ihn das Lebenspfand
Und schenken uns die Hand.
Wir wollen Lumpensammler sein
Mit edlem Philisterwein.
Wir nennen ihn das Lebenspfand
Und schenken uns die Hand.

[ELIAS HOHLBERG]

Der Wein ist eine Gabe,
Die der Reiche nicht gern teilt.
Kokett er raubt dem Bettler,
Die Traube, reif und klein.

Der Wein ist dein Gefдhrte,
Er ist reich und bunt und fein.
Er liegt in deinen Venen
Wie im Zarenhof der Stein.

[DIE LUMPENSAMMLER]

Wir wollen Lumpensammler sein,
Mit edlem Philisterwein.
Wir nennen ihn das Lebenspfand,
Und schenken uns die Hand.
Wir wollen Lumpensammler sein,
Mit edlem Philisterwein.
Wir nennen ihn das Lebenspfand,
Und schenken uns die Hand.
Ьber 2 Jahre lang tranken die Smolensker Bettler den Wein der SpieЯbьrger,
auf Schlitten zogen Elias und seine Freunde die Karaffen scharenweise in
den Osten Russlands, wo die Armut schon an Reben nagte, der „Deutschmann“
schon im Gasthaus saЯ und die Kдlte schon die Kirchen querte. Hцren Sie ein
Bдnkellied, das dem armen Menschen der Weltkriegszeit gewidmet war.


7. Lied Fur Die Armut Anderer Leute

[ELIAS HOHLBERG]

Ein Lied ward geboren
Fьr den Menschen von Hohn,
Den Bettler, den Schnorrer,
Den hungernden Sohn!

Ihr Armen herbei in die Stдtte der Nacht,
Wir plagen den Krцsus in дrmlicher Tracht.

Gebt’ Mut dem Gedanken,
Dem Leumund einer heiteren Zeit!
Zeigt Schneid fьr das Zanken,
Den Wunsch nach fidelem Geleit!

[AUFSTAND DER BETTLER]

Die Bettler sind los...
...in der Stдtte der Nacht!
Sie plagen den Krцsus...
...in дrmlicher Tracht!

Herbei in mein Reich,
Du torkelnder Mann.
Verlass’ deine „Leich’“
Und schlieЯe dich an!

Wir ziehen mit Anstand,
Mit dir Hand in Hand,
(mit dir Hand in Hand!)

[ERZДHLER]

Er gaukelt laut, er spielt famos.
Kцnnt ihr in alle sehen? Der Bettelmann ist los.
„Trotzt dem Kriege!“, motzt die Ziege, motzt die Reichen an.
„Frцnt der Komik!“, tцnt schon feurig, unser Bettelmann.

Ein Armer ist voll Komik,
Er tдnzelt schon und schreit:

[AUFSTAND DER BETTLER]

Die Bettler sind los...
...in der Stдtte der Nacht!
Sie plagen den Krцsus...
...in дrmlicher Tracht!

Tritt ein in mein Reich,
Du klдglicher Mann.
Verlass’ deine „Leich’“
Und schlieЯe dich an!

Wir ziehen mit Anstand,
Mit dir Hand in Hand,
(mit dir Hand in Hand!)

[ERZДHLER]

Er gaukelt laut, er spielt famos.
Kцnnt ihr in alle sehen? Der Bettelmann ist los.
„Trotzt dem Kriege!“, motzt die Ziege, motzt die Reichen an.
„Frцnt der Komik!“, tцnt schon feurig, unser Bettelmann.

Ein Armer ist voll Komik,
Er feiert nun den armen Mann...
...den armen Mann!

ELIAS HOHLBERG war Pazifist und keineswegs darauf bedacht,
einer wehmьtigen „Instanz“ wie den Qualen des Krieges mit Gram
und Kummer zu begegnen. Hцren Sie nun die musikalische Fassung
einer satirischen Begegnung mit kriegerischen Elementen.

JUDENKINDER ODER DIE KOMЦDIE VOM KRIEG

[JUDENKINDER]

Wir liebten ein Land, das der Krieg nun verschlang
Mit Helden und gellender Totschlдgermacht.
Wir hassen die Willkьr, die Bombe, den Zank,
Wir Judenkinder lieben unser Land.

[ELIAS HOHLBERG]

Ach, schцner Heldentod,
oh, du wartest schon!
Ich winke kьhn und tдnzle bleich,
Ich kecke Musikantenleich!?

[JOHANNES ZETTERBERG]

Sie tummeln sich aus der tцdlichen Bahn,
Verhalten den Schmerz und stellen den Mann.
Sie tдnzelten mьde den Leichen entlang,
Und дchzten schlдfrig (dann, dann):

„Ihr meuchelnden Helden im Totentanz,
Ihr wьtet mit tollen Gewehren.
Die ‘Meute’ seid ihr, sьnd-feige Herren,
Von schmдhlichem, klдglichem Stand.“

[JUDENKINDER]

Wir spielen und leiern, wir gaukeln und frieren,
Wir ziehen durch dieses Gerцll...
Wir fiedeln und tцnen, wir kurbeln und geigen,
Wir lieben das russische Land.“

Wir tadeln die Strenge, den „eifrigen“ Mann.
Wir mahnen des Kriegers Gelьbt’...
Wir stelzen mit Freude durch schneeweiЯes Land
Und kehren dann doch zurьck.

Starker Mann mit dem SchieЯgewehr,
Klopfe laut an unsrem Tore!
Mit hellem Ton, fast fragend schon,
Trдgst du zur Komцdie bei.

[JOHANNES ZETTERBERG]

Der „Judenbund“ glich einer Trotznation,
Einem Komikeid mit einem Launenlohn.
Die Judenbuben froren Wunden schon,
Mit Drang zum Ton und ihren unvergessnen Liedern.

Der „Judenbund“ glich einer Trotznation,
Einem Komikeid mit einem Launenlohn.
Die Judenbuben froren Wunden schon,
Mit Drang zum Ton und ihren unvergessnen Liedern.

Mit dem Ideal, eine Zirkusstadt fьr arme Leute zu errichten, hat der
Schnitzerbub Mehmet Seedorf - als buntes Geleit der fidelen Musikanten -
Eine zinnoberrote Marionette ins Leben gerufen. Der rьhrige Holzklotz, den
Elias liebevoll „August“ nennt, mutiert flugs zum wirren Tдnzer und
Interpreten schiefer Tцne und bleibt stдndiger Begleiter der skurrilen
Hauptfigur Elias Hohlberg. Hцren Sie nun die musikalische Begegnung mit
Einer „zinnoberroten Marionette“.


8. Die Zinnoberrote Marionette

[ELIAS HOHLBERG]

Ah! Sie lebt - den Tanz einer kleinen Puppe.
Dreister kleiner Holzklotz! Sprich mit mir!
Dirigiere mich! Du traust dich doch oder?

[ELIAS HOHLBERG]

Der August war ein Eichenklotz, ein mьder kleiner Klotz.
Ein stumpfer, toter, matter, bleicher, fahler kleiner Klotz.
Er wich dem Glanz, dem Raspeltanz, der Schnitzerbubenhand.
Er hing noch nicht an Fдden und mied den Puppenstand.

Der Mehmet schnitzte brav und fein den August aus dem Klotz.
Er schliff den edlen Kцrper und schnitt Kleider aus dem Stoff.
Er gab dem August Leben, er zog an seinen Fдden,
Er lenkte ihn, er hegte ihn, er fьhrte ihn zum Tanz.

[ELIAS HOHLBERG]

„Herbei mein Klotz, mein Puppenklotz, du rote Tanzfigur!
Du atmest schon, du tдnzelst schon, du bettelst um Statur!“

Der August war voll Leben, er mьhte seine Fдden,
Er war ein Held, ein Kamerad, ein Kumpel in Statur!


9. Unterstadt-Oberstadt-Zirkusstadt

„Unterstadt-Oberstadt-Zirkusstadt“ verdeutlicht eine politisch wie satirisch
gemeinte Botschaft in einem komisch-humoristisch gefдrbten Hierarchiedenken.
In der Unterstadt lebt der Arme, der Bettler, das Kind, der Unmьndige. In
der Oberstadt lebt der Reiche, der Philister, der Kцnig, der Kaiser, der
Edelmann. Die „Zirkusstadt“ als idealistische Konstruktion ist die grцЯte
Fiktion der Judenbuben geblieben. Das Zusammenfьhren aller
Gesellschaftsschichten mit dem Bettler im Zentrum der Komik bzw. im Zelte
der Zirkusstadt, wдre schlussendlich die wichtigste Kreation der
Weltkriegszeit gewesen. Sich ьber Juden tot zu lachen hat nichts Komisches;
erst dann wenn der „Unterstдdter“ und der „Oberstдdter“ gemeinsam ьber den
Gaukler lachen kцnnen, zeigt sich der sozial-kommunikative Gehalt der Komik.
Ein enttдuschter und pikierter Clown erzдhlt Ihnen und beklagt, dass die
Sitzreihen um die Manege herum frei bleiben, wenn er sich in schwieriger
und mьhsamer Zeit der Komik unterwirft. Er mцchte Unterstдdter und Oberstдdter
zusammenfьhren und Soldaten und Kanonen aus dem Zelte ausschlieЯen.
Wдhrend hier im Zirkusrund Clowns und Gaukler tollen, zermьrben sich auЯerhalb des
Zirkuszeltes Soldaten und Krieger, die keinen Platz in der Manege finden
kцnnen und wollen. Sehen Sie dieses Stьck gleichzeitig als satirische
Auseinandersetzung und penible Begegnung zwischen Zorn und Komik, Soldaten
und Pazifisten sowie zwischen Konventionalisten und Nonkonformisten. Die
Komik klagt an: „Es lebe die Zirkusstadt. Es lebe der fidele Ton, das
Gelдchter gezeichneter Frauen und Mдnner, die dem Kriege zum Trotz einen
Platz gefunden haben, der sich „Zirkusstadt“ nennt.“

[ERZДHLER]

Ein Clown als Herr der fidelen Welt
Stand grдmig in seinem Zelt...

Der Clown klagt an, denn wo bleibt der Mann,
Der munter seiner Komik frцnt.
Er grдmt sich bang’, wenn ein froher Mann,
Nicht heiter aus dem Zelte tцnt:

[DER CLOWN ALJOSCHA]

Herein, arm Volk, die Zirkusstдdter tanzen schon!
Herein, arm Volk, der Gaukler lдsst euch euren Lohn!

[DER CLOWN SERJOSCHA]

So klatscht euch wund in der Zirkusstund’,
Ja grient und lacht in den unsren Schacht.

[DER CLOWN ALJOSCHA]

Verschanzt euch nur, blasiert und stur.
Verprasst das Geld hier im Zirkuszelt.

[DER CLOWN SERJOSCHA]

Schenk mein fein Herr nun dein Herz her!
Griene - Weine - Nimm das Meine!

[DER CLOWN ALJOSCHA]

Lach’ fьr diese Bettlernacht,
Lach feig’ Hoheit, lach’ und lach’.
Klatsch’ in deine Hдnde sacht’,
denn, mein Kцnig: „Dies ist Macht!“

Zeig dich hier im Bettlertum,
Lass dein Herz im Zelte ruhen.
Blech’ doch unsre Zirkuspacht,
denn, mein Kцnig: „Dies ist Macht!“

[DER CLOWN SERJOSCHA]

So klatscht euch wund in der Zirkusstund’,
Ja grient und lacht in den unsren Schacht.

[DER CLOWN ALJOSCHA]

Verschanzt euch nur, blasiert und stur.
Verprasst das Geld hier im Zirkuszelt.

Reinun Perlmann war der einzige der Buben, der das jьdische Lemberg mit
wehmьtigem Geigenspiel und offiziellem Traditionell versьЯte; Juden aus
Ungarn, und dem Russischen Reich kamen unentwegt angereist, um Reinun
Perlmanns Spielkunst zu lauschen. Kaum ein Violinist besaЯ die Fдhigkeit,
derlei virtuos mit der rechten Hand zu streichen; die Gewohnheit Reinuns
mutierte zur Attraktion, zum Stolze Lembergs: Ehe er es wusste war er
Lembergs Held und „Kцnig der Musikanten“ gewesen. Als er 1920 mit Elias,
Mehmet und Ithzak aus Lemberg fort zieht, „ertrinkt“ das geistliche Lemberg
in furchterregender Stille, noch unwissend, dass sie auЯer Elias Hohlberg
allen noch einmal begegnen werden. Im Juni 1938 erfдhrt die Geschichte um
den „Kцnig der Geigen“ eine fatalistische Wende. Die Deutschmдnner hacken
dem jungen Perlmann, trotz dessen Flehen, seine fьr das Spiel notwendigen
Extremitдten verschont zu lassen, die rechte Hand vom Unterarm. Was die
Hitlersoldaten am Vorabend mit Pfennigen erkauften, mordeten sie am
folgenden Tage im Trunke kriegerischer Banalitдt und antisemitischer
Gefolgschaft.


10. Die Linke Hand Des Musikanten

[REINUN PERLMANN]

Ich, ich bitte dich Soldat...
So hack mir nicht die Hand vom Stamm,
Die goldne Tatze, meinen Rang!
Sei stark und lausche frцhlich weiter,
Diesen Tцnen frech und heiter.
Bist schwach, wenn laut dein Fьhrer tobt,
Die holde Kьnstlerarmut lobt...
Ach, wenn du mordest ohne Ziel,
Bis meiner kьhnen Schцpfung munter
Ein Stьck Fleisch zu Boden fiel...

Welch kьhne Tat?
Welch heller Geist?
Was fьr ein Held?

[ERZДHLER]

Es schien sein Ton wie edler Wein
In Lemberg zu gedeihen
Famos war seine linke Hand,
Der Klang, den sie erstand...

[JOHANNES ZETTERBERG]

Es roch... ein Stьck Fleisch
Ein toter, toter Mann...
Die Geige ist tot!?

[AN DIE LEIDLICHE INSTANZ]

Das ist mein Ruf nach holdem Ton,
Nach Gunst der kьhnen Gestalt.
Was niemand schuf und doch erklang,
Das war das Ziel eines hellen Drangs.

Er ruht verhьllt, in sich vereint,
Als Held der jьdischen Stadt.
Was niemand weiЯ und doch geschah,
Das war der Tod seiner linken Hand.

[JUDENKINDER]

Das ist der Leichnam, den ihr habt’ belogen,
Der Kцnig der Geigen, von „Helden“ betrogen...
Ihr wьtet mit Hдnden der jьdischen Kьnstler,
Doch nun lauscht und bangt, denn der Kцnig
Wird wieder gedeihen!

[AN DIE LEIDLICHE INSTANZ]

Das ist mein Ruf nach grellem Ton,
Der Zorn der jьdischen Kunst.
Mein Spiel ist rein, so soll es sein,
Ja hдmisch, zдh und fьr mich allein.

Er ruht verhьllt, in sich vereint,
Als Held der jьdischen Stadt.
Was niemand weiЯ und doch geschah,
Das war der Tod seiner linken Hand.

[JUDENKINDER]

Das ist der Leichnam, den ihr habt’ belogen,
Der Kцnig der Geigen, von „Helden“ betrogen...
Ihr wьtet mit Hдnden der jьdischen Kьnstler,
Doch nun lauscht und bangt, denn der Kцnig
Wird wieder gedeihen!

[JUDENKINDER]

Seht die Hand der Lebenden!
Seht das Leid der Kunst!

[ELIAS HOHLBERG]

Lernt vom Leid des Kцnigs,
Dass kein Toter ewig ruht,
Dass Karma weiЯ, was Sьnder gerne tun...
Nehmt des Kьnstlers Leben nicht in eure Hand,
Bestraft nicht unsre Helden, unsren Stand!

[JUDENKINDER]

Das ist der Leichnam, den ihr habt’ belogen,
Der Kцnig der Geigen, von „Helden“ betrogen...
Ihr wьtet mit Hдnden der jьdischen Kьnstler,
Doch nun lauscht und bangt, denn der Kцnig
Wird wieder gedeihen!

Wдhrend seine Kameraden nach Lemberg zurьckkehren, verbleibt der Humorist
ELIAS HOHLBERG im viel zu kalten Kцnigsberg und begegnet dort dem... Tod.
Hцren Sie einen Aufzug ьber Kьnstlerleid, Bizzarerie und jьdischen Heroismus
– eine satirische Begegnung mit dem Hinschied von Komik, Kьhnheit und Seltsamkeit.

ELIAS HOHLBERG beschreibt seine 20er Jahre als „aufstдndisch“, „trьgerisch“,
„rьcksichtslos“ und vor allem „komisch“. Elegische Momente wie die Schmach
des Krьppels Spennocchi verarbeitete er nie. In der Komik suchte er
Loyalitдt. Seine Illusion, mit Musik die Welt zu verbessern, machte ihn
zum Nonkonformisten, sein Leierkastenspiel krцnte ihn zum „Kцnig der Bettler und Armen“.


11. Komik Und Elegische Momente

[ELIAS HOHLBERG]

Der Tod ist ein Gelдchter,
Denn das Leben ist bizarr.
Er pocht an roten Tьren,
Denn sein Richter ist ein Narr.

Komisch ist das Leben,
Wenn es nicht mehr mit mir tanzt.
Plump scheint es zu geben,
Was der Tod in uns verschanzt.

Lebt’ ich kьhn wie ein heller Ton,
lebt’ ich wie ein kranker Mann...
lebt’ ich wie ein Bub vom Zarenlohn,
lebt’ ich wie nur ich es kann.

[ERZДHLER]

Kьhn blieb der Leierkastenmann,
Komisch war sein Gesang.
Er drehte die Leier ohne Zwang,
Er machte Humor zum Drang.

[ELIAS HOHLBERG]

Lebt’ ich wie ein Mann vom Zarenlohn,
lebt’ ich wie ein kranker Mann...
lebt’ ich (so) kьhn wie ein heller Ton,
lebt’ ich wie nur ich es kann...

[ERZДHLER]

Kьhn blieb der Leierkastenmann,
Komisch war sein Gesang.
Er drehte die Leier ohne Zwang,
Er machte Humor zum Drang.

Kьhn blieb der Leierkastenmann,
Komisch war sein Gesang.
Er drehte die Leier ohne Zwang,
Er machte Humor zum Drang.

Als die groЯe Judenhetze einsetzt, wird es fьr Hohlberg immer schwieriger,
sein Ideal vom komisch besetzten Menschentum mit fidelen Klдngen
durchzusetzen. Wдhrend die Kцnigsberger letzte Briefe kritzeln, versteckte
Mьnzen zдhlen und ьber ein nдchstes Jahrzehnt ratschlagen, stellt sich
ihm, dem Leierkastenmann, ein barfьЯiges Mдdchen mit dem indischen Namen
„Tschandravatii“ vor. Das vom Schmutz der Wasserlachen bekleckerte Kind
verehrt das Hohlberggemьt, hьpft und singt vor seinem Kasten, das
dunkelblaue Kleidchen mit beiden Hдnden hochgehoben, und verwandelt den
Puppenfratz August in eine skurrile Tanzfigur. Frьhmorgens und so lange
bis die Nacht erwдgt, den frцhlich begonnenen Tag mit dunklen, immer dunkler
werdenden Nachttьchern zuzudecken, tanzt das knochige Waisenkind zu
Hohlbergs bizarr-komischer Musik. Er leiert und leiert, doch kalte Winter
ziehen hinauf nach Kцnigsberg, und nur noch kranke Bettler und Tote ruhen
in der eisigen Stadt. Willens, den „Krieger“ zu beschдmen, bevorzugt Hohlberg
den Winter als Mцrder seiner Lieder, seiner Trдume und seines Lebens. Als
der Judenfeind die Stadt Kцnigsberg erreicht, zieht der Spielmann stolz
und trunken in den verzweigten Labyrinthgarten nahe dem Marktplatz, um dort
den harten Kampf gegen den russischen Winter, der ob seiner erdrьckenden
Schneedecken nun endgьltig seinem Namen gerecht wurde, zu verlieren.

Einige Jahre spдter, nachdem der Leierkastenmann nachweislich aus der
Stadt verschwunden war, erzдhlte sich manch Kцnigsberger die folgende
Geschichte:
Damals, im strengen Winter 1941, soll ein indisches Mдdchen erfroren sein,
6 Jahre alt und verliebt in die Geige. Man sagt, das Kind hдtte einen
Spielmann lachen hцren, unten am Graben, in dem kьnstlich angelegten
Labyrinthgarten der Stadt. „lachen“ wie der Donner donnerte und Sonne in
der Nase kitzelte, „lachen“ wie es das Mдdchen selbst nur allzu gerne tat.
BarfuЯ und dem Leierkastenspiel eines Verrьckten hцrig, war es in den
Irrgarten gezogen, dem Gelдchter des Leierkastenmannes folgend. Fast
verwegen ob der lauten Mitteilung stiefelte das Kind weiter, ohne je einen
Stiefel getragen zu haben. Der Mann lachte und lachte, leierte immer
wieder zwei, dann drei Tцne. Immer leiser verstummten sie in den vereisten
Schneebrettern, die sich nun nach und nach von den eisig bedeckten Hecken
lцsten.

Man fand das Mдdchen dann im Frьhjahr danach, als viele Kцnigsberger aus
dem Sьden zurьckkehrten, um nach ihren Hдuserresten zu sehen. Es saЯ am Boden,
die Arme verschrдnkt, vor sich ein Kopekenstьck, das aus einer leeren
Handschale fiel. Den Kopf hatte es an einen Leierkasten gewinkelt. Und
dort, wo Schnee schon schmolz, doch Erde noch fern war, ragte die Holzhand einer
feurig roten Marionette hervor. Unter ihr - konnte das ein lachender Toter
gewesen sein? - fand man, die Marionette fest umklammernd, einen jьdischen
Musikanten, erfroren und genauso mindestens einen Winter tot.

Sein Name: Elias Hohlberg, 39 Jahre alt.


12. Blumen Von Tschandravatii, 1938

[ELIAS HOHLBERG]

Sie roch so nach Tod mit dem Duft,
Mit Augen (Gebein!), so finster und leer.
Sie spielte die Geige zum Tanz,
Ein Kratzen am Bund,
Ein (knochiger) Ton der verstummt...

Ihr Herz war bei mir und es schwankt,
Ja schwankt in der Brust... nur zart
...hin und her...

[DER LETZTE TANZ]

Wir tanzten verlacht im Saal der Eheleut,
Lieb war uns jeder Totentanz.
Ihr Bouquet blieb vor Reiz und vor Duft gefeit,
Lachend verlebte sie den Glanz.
Es war unser allerletzter Tanz...
Er war... schlicht famos.

[ELIAS HOHLBERG]

Sie tanzte im gьldenen Glanz,
Mit heiterer Mimik entspannt.
Es fehlte das Schuhwerk ihr ganz,
Das дrmliche Ding,
Das indische Kind!

Ihr Herz war bei mir und es schwankt,
Ja schwankt in der Brust... nur zart
Hin und her

[DER LETZTE TANZ]

Wir tanzten verlacht im Saal der Eheleut,
Lieb war uns jeder Totentanz.
Ihr Bouquet blieb vor Reiz und vor Duft gefeit,
Lachend verlebte sie den Glanz.
Es war unser allerletzter Tanz...
Er war... schlicht famos.


13. Eine Ungelberte Stunde, 1941

[ELIAS HOHLBERG]

Mein Geist sьhnt mein Leben,
Er wundet auf der Suche nach dem Sinn...

Mein Boot („Sarkophag!“)
Seine Anker hat gelichtet,
Frei und famos,
Mit ‘ner Leiche in der Mitte.
Ach Hohlberg, armer Jude,
Schon im Дther dunstverhangen
...bist du tot!?

Bist du tot?

[RUSSISCHER SДUFER]

Wertes Volk einer zynischen Zeit.
Wir betten ein diesen Herrn
In die Stдtte des Leibs!

[ELIAS HOHLBERG]

Ich habe Angst, hцrst du, Angst!
Fast kцnnt’ der Tod am Leben sein...

[HOHLBERGS GEWISSEN]

Ist nicht der Ton, der Ton,
Schon deinem schwarzen Gifte gleich?

Du bleichst in Deinem Bette...
Du... Du frierst in Deinem Teich!
Wer kratzt am Geigenbund?
Wer lauscht da dem Gesang?
Ach, der Tod ist fein...

[ELIAS HOHLBERG]

Es ist komisch,
Jetzt schon tot zu sein...

Halt’ ein, halt’ ein...
Hцrst Du, August, hцrst du, nein?
Den Ton...
das, das muss die Geige sein...
...das muss die Geige sein!

[ELIAS HOHLBERG]

Der Tod ist der Lohn meines Lebens,
Er ist das Gelдchter zu unserem Tanz...
Er... er setzt den letzten Anker ein,
Mit Liebe und Sьhne der Leier zum Preis...
(Nein! Nein!)

Hier liegt ein jьdisches Leben,
Mein Kamerad aus der Lemberger Zeit.
Er schlдft mit seiner Puppe ein,
Mit Liebe und Sьhne der Leier zum Preis...

[RUSSISCHER SДUFER]

Es starb in ein Boot eine jьdische Leich’,
So weinet und klaget doch schon!

[ELIAS HOHLBERG]

Ich sьffle laut und trunken,
Ich trдnke mich am Blut.
Ein Kдferlein ich aЯ zum Schein
Was bleibt mir denn im Warten...
...auf den Tod!

[RUSSISCHER SДUFER]

Na, na-na-na, na na-na-n-a!
Na, na-na-na, na na-na-n-a!

[ELIAS HOHLBERG]

Ein Sдufer behende verblich noch am Sarg,
Bring mir mein Jude die Schaufel ins Grab!

Wer sonst fand im Garten den billigen Tod?
Das indische Mдdchen, entschlafen im SchoЯ...

Der Messbub verfehlte das richtige Grab,
So lдutet die Glocke ein jьdischer Knab’!

Kopeken ich griff aus dem lustigen Sarg,
Nimm es, die Reise wird von uns bezahlt!

[ELIAS HOHLBERG]
(PHYSISCH TOT)

...Mein Fleisch... ist... tot!
Ist tot!!??

Es ist fein, dass ich, kalt und bleich,
Im Totenschein bin doch nicht Leich
In meinem Reich...
Bin stolz verreckt, verschanzt...


14. Ithzak Kaufmann Und Das Bindfadencello

[ELIAS HOHLBERG]

Wer hockt nun da vor meiner Leich’...
Erfroren war ich, kreidebleich -
Und klagt mit leidlich’ Instrument...
elend, wach und doch dezent...
Auf flaschengrьnen Fдden...
Als kцnnten diese mit mir... reden...

[ITHZAK KAUFMANN]

Du bliebst in meinen Klдngen,
Ganz trдge in der Stund,
Wenn Kurbeln mьde murmeln
tьnch’ ich sie wund...

Ich zerre an den Flusen,
Mit Hдnden aus Granit,
Wo sonst nur ein Weib’
bцs’ Laune erspinnt.

Was blieb, das war dein Phlegma,
Es rцchelt wie ein Hund,
Es quдlt’ mir meine Stunde...
(vor Launen gefeit).

Ich spiele unsre Lieder,
Beklage unsren Bund,
Denn still und leis’ dein Anker
Verhдrtet die Stund.

[ELIAS HOHLBERG]

Ja, Ithzak, Kumpan...
Was klagst du mir Trдnen am Bette,
welch’ Wehmut du suchst!

Hab’ Dank fьr dein Lied,
Es drцhnt hier mit bitterem Schmerz,
welch’ Hoffnung es sieht!

Du klopfst an mein Boot
Und schaufelst mich frei aus der Kдlte
...mit frierendem Ton!

[ITHZAK KAUFMANN]

Mein Freund, du schielst mit Glanz,
Nach dieser Gier, mit dieser Sucht,
Ein Leben zu rauben, es froh zu glauben!

[ITHZAK KAUFMANN]

Mein Freund, du bleibst im Bund,
In dieser Stund der traurig Kund’,
In diesem jьdischen Bьndnis ein Kцnig!


15. Der Lustige Tote

[ELIAS HOHLBERG (ZU SEINER MARIONETTE AUGUST)]

Ein Toter ist nicht tot!
Und weiЯt du noch... das Leben?

[ELIAS HOHLBERG]

Ich lebt’ mich tot und lachte laut,
Das Leben ward ein reger Kumpel.
Leidig, zдh und mьd’ und streng
Es klopfte an mein Tod.

[ELIAS HOHLBERG (ZU SEINER MARIONETTE AUGUST)]

Du wunderst Dich?
Ich kratze mich.
Ein Toter ist nicht tot!?

So soll es sein,
Und ich allein,
Bin heute richtig froh!

[ELIAS HOHLBERG]

Ich lacht’ mich tot, wie wunderbar,
Ich seh’ mich gern als kokette Leiche.
Modrig, bleich und dьrr und gar
Ich hoffe auf mein End’...
(...auf mein End’?)


16. Epilog Aus Der Judengruft

[ELIAS HOHLBERG]

Ein Dolch, das ist ein Ding, das sticht...
Doch bringt ihr mich zu Tode nicht...
Hцrt lieber an, den heitren Ton,
Der ьbrig blieb von meinem Lohn...

Der Kasten, den ich drehte,
und... der das eure Land belebte...
Erfror marod’,
War nicht gleich tot,
In einem weiЯen Gдrtchen dann,
Wo jeder Ton nach Winter klang.

Ich weiЯ, dass kьhn und trunken...
Ich Mann der Komik war versunken,
In diese goldne Judengruft.
Mit Erde reich an Leichenduft.

Ich schmunzle schon, und lache gleich,
Was bin ich wert als Judenleich?

Ach... bin ich froh...
Dass der Winter gar,
Mein Mцrder war,
Und nicht ein Krieger aus dem Heer,
Mit seinem tollen SchieЯgewehr!

So lauscht noch meinen Stьcken...
Ja traut euch zu erquicken...
Denn wer in nahen Stunden wagt...
Sich gar mit beiden Hдnden plagt,
Den Deckel meiner Kiste zu verrьcken,
Den wьrde dann wohl kaum entzьcken...
Dass ich, Elias Hohlberg, dann...
Die Kiste hier zur Leere zwang!


17. Mein Letztes Stuck

[ERZДHLER]

Und wenn Sie einmal
Die StraЯen dreister Musikanten queren,
Lauschen Sie doch dem Gespielten
Und werfen Sie eine Mьnze!